Flüchtlingsdebatte ohne Flüchtlinge
Wenn die Medien über die Flüchtlingskrise diskutieren, dann diskutieren sie über die Politik, aber nicht mit den eigentlichen Betroffenen. Zu diesem Schluss kommt eine neu erschienene Studie der Otto-Brenner-Stiftung (OBS). Als lokal agierender Flüchtlingshelferverein überrascht uns das wenig – dass manche Politiker sich nicht für die Verhältnisse vor Ort interessieren, kritisieren wir schon seit Jahren.
Nach der Auswertung von rund 2500 Artikeln aus internationalen Leitmedien in Europa und den USA stellen die Studienautoren fest: Die Medien sprechen sehr viel über Flüchtlinge, aber selten mit Flüchtlingen oder deren Helfern. Die Hauptakteure in der Medienberichterstattung über Migration sind demnach in rund der Hälfte der Fälle Politiker und politische Institutionen. Der Anteil der Migranten, um die es in der Diskussion ja eigentlich geht, macht dagegen knapp ein Viertel der Akteure aus – wobei in den meisten Fällen nur von „den“ Flüchtlingen als große, anonyme Gruppe die Rede ist, die gar nicht direkt zu Wort kommen darf. Auch die Flüchtlingshelfer als diejenigen, welche die Herausforderungen vor Ort meistern, tauchen in der Mediendiskussion mit knapp einem Fünftel nur am Rande auf. Die Studie macht jedoch auch regionale Unterschiede aus: so ist in Osteuropa die Tendenz größer, in der Migrationsberichterstattung auf migrantische Stimmen zu verzichten, während in den USA das Gegenteil der Fall ist.
Ähnliche Zahlen können wir auch in Dillingen beobachten. Zwar können wir uns nicht über eine mangelnde Medienaufmerksamkeit beklagen. Aber wie aus unserem Pressespiegel hervorgeht, machen erzählende Formen, die direkt über Einzelschicksale berichten, nur 6 % der Berichterstattung aus. Wir wissen allerdings auch, dass dies nicht nur an den Medien selbst liegt: Oftmals möchten Flüchtlinge ihre Fluchtgeschichten nicht offen erzählen, aus Angst vor Repressionen im Herkunftsland. Dabei sind es genau diese Geschichten, die uns dabei helfen, Flüchtlinge nicht als anonyme Masse zu sehen, sondern als Menschen aus Fleisch und Blut, denen eine unveräußerliche Würde zukommt, genau wie uns selbst.
„Es ist fraglich, inwiefern die Medien so den berufsethischen Anspruch, eine ‚Stimme für die Stimmlosen‘ zu sein, erfüllen können“, kommentierte Prof. Dr. Susanne Fengler, Co-Autorin der Studie vom Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der TU Dortmund, ihren Befund laut einer Pressemitteilung der Otto-Brenner-Stiftung. Dieser Frage schließen wir uns an. „Ich wünsche mir schon lange, dass es uns möglich wird, mehr Flüchtlinge selbst in unserer Pressearbeit zu Wort kommen zu lassen“, sagte unser Medienbeauftragter Jan Doria selbstkritisch. Dazu sei es aber notwendig, dass sich weitere Ehrenamtliche fänden, die diese Aufgabe übernehmen. Wer daran Interesse hat, egal ob Flüchtling oder Einheimischer, findet hier weitere Informationen.